Anzeige von shadowed

geschrieben am 09.06.2025 von shadowed, weiblich

Es ist jetzt 20 Jahre her, als ich meinen Stiefvater angezeigt und gegen ihn prozessiert habe.
Er selbst schrieb eine Art Geständnis in Form eines Briefes an meine Mutter, von dem er sich damals versprach, ihre Beziehung noch zu retten, die zu der Zeit auseinanderbrach.

Meine Mutter klatschte mir den Brief (neben einigen Weiteren) suf den Tisch, mit den Worten: ‘Hier, vielleicht brauchst du das ja nochmal für deine Therapie’, doch ich entschied mich dafür, ihn als Grundlage für eine Anzeige gegen meinen Stiefvater zu nutzen. Ohne jene Grundlage, so sagte mir die Kontaktperson vom ‘Weißen Ring’, hätte ich kaum bis keine Chance auf einen Prozess gehabt. Traurig aber wahr, ohne handfeste Beweise oder ein Geständnis heißt es eben immer nur ‘Aussage gegen Aussage’, was am Ende in's Leere läuft.
Ich erhielt wie gesagt Unterstützung durch den Weißen Ring und meine Erfahrungen waren diesbezüglich sehr positiv!
Die Aussage beim LKA war sehr belastend und retraumatisierend, auch wenn mir natürlich klar ist, dass die zu einem gewissen Grad so nachdrücklich fragen müssen und darauf angewiesen sind, dass man so detailliert wie möglich schildert. Dennoch hätte ich mir ein wenig mehr Einfühlungsvermögen gewünscht.
Das, was er in seinem Brief gestand, waren maximal 10 Prozent dessen, was er wirklich getan hat und das wiederum beschrieben in einer vollkommen selbstgefälligen Art, in der er sich hintenrum freisprechen wollte von seiner Schuld. Es sei anzumerken, dass mein Stiefvater Psychotherapeut war und genau wusste, wie er was formulieren muss.

Dass hatte zur Folge, dass das wirkliche Ausmaß seiner Taten strafrechtlich so nicht verfolgt werden konnte, auch wenn man mich in meiner gesamten Aussage als absolut glaubwürdig einschätzte. So kam es, dass er nur für einige wenige Taten angeklagt wurde und leider kamen noch strafmildernde Faktoren, wie Verjährungsfristen und auch mein Alter hinzu (der Missbrauch durch ihn geschah im Alter von meinem 9ten bis zu meinem 20ten Lebensjahr und alles was ab 16 passierte, wurde nicht so verhandelt wie die früheren Taten, von denen wiederum viele zu diesem Zeitpunkt verjährt waren).

Das allein macht einen schon mal sprachlos, doch wurde das ganze durch das Urteil noch getoppt, denn da sprach der Richter aus, was ihm alles strafmildernd ausgelegt wurde: Ihm kam zugute, dass er geständig war (ich würde sagen, nicht mal im Ansatz) und dass er zu dem Zeitpunkt schon ein höheres Alter erreicht hatte (dass mache ihn u.a. haftempfindlicher gegenüber anderen Häftlingen, die ihn laut Richter ‘für jene Taten auseinandernehmen würden’).

Ich weiß nicht, wie es euch bei solchen Fakten geht? Es schreit förmlich vor Ungerechtigkeit und macht mir das Gefühl, die Welt steht Kopf,
Verkehrte Welt.
Bedeutet das übersetzt, je schlimmer die Taten, je jünger die Opfer, desto mehr Schutz für die Täter? Ja, und das ist nicht mal nur ein Eindruck, sondern Fakt.
Nach der Rede des Richters, in der er noch erwähnte, dass mein Stiefvater ja EIGENTLICH eine Mindesthaftstrafe von 10 Jahre hätte bekommen müssen, wenn nicht dieses, und jenes... usw. wäre... lautete das Urteil 3 Jahre auf Bewährung und eine niedliche, kleine Geldstrafe an mich (weil er ja auch finanziell nicht mehr gut dastehe)..

Ja, man muss das erst mal schlucken, denn er hat mich 10 Jahre lang schwer sexuell und emotional missbraucht, terrorisiert und psychisch zersetzt.
Der Prozess an sich war wichtig für meinen inneren Prozess und als ich im Gerichtssaal noch um Äußerung gebeten wurde, soll ich wohl noch recht viele klare Worte gefunden haben. Ich erinnere mich an nichts mehr, denn ich bin total dissoziiert in dem Moment, aber meine Freundin berichtete mir, dass ich ihn angesehen und angesprochen habe und sagte:
‘Ich gebe jetzt und hier die Schuld dahin zurück, wo sie hingehört an dich.’ Und zeigte auf ihn.

DAS ist, dass was ich persönlich daraus mitgenommen habe und was ich mir auch lieber abrufe, als das lächerliche Urteil.

Leider war dieser Mann nicht der einzige Täter, denn meine Missbrauch-Geschichte begann schon im Alter von ca. 3. Jahren durch sehr viele fremde Männer und parallel dazu in all den Jahren auch Vergewaltigungen. Diese vielen anderen Täter habe ich nicht angezeigt.

Danke für’s Lesen.